Daniela und Patrik Birrer, Duggingen, BL
«Langsam aber sicher sind wir auf dem Weg in die Normalität»
Franziska Schawalder – Daniela und Patrik Birrer haben im vergangenen Jahrzehnt viel Zeit, Herzblut und Geld in ihren Bio-Pachthof Oberaesch investiert. Mit vielen verschiedenen Betriebszweigen, wozu auch die Zusammenarbeit mit dem Jugendsozialwerk Blaues Kreuz BL gehört, haben sie sich etwas Schönes aufgebaut. Vor gut einem Jahr verlangte ihnen die Blauzungenkrankheit jedoch noch einmal alles ab.
Diese Geschichte startet mit einer fünfminütigen Suche nach dem reservierten Mobility-Auto in Aesch / BL und endet mit einem strahlenden kleinen Mädchen in Oerlikon, das voll Freude eine Pfauenfeder in der Hand hält. Dazwischen liegt ein spannender, informativer und schöner Nachmittag auf dem Hof Oberaesch in Duggingen bei Daniela und Patrik Birrer samt Team. Die schmale Strasse, der imposante Bärenfels, die zahlreichen Bikerinnen und Wanderer, die es zu überholen gilt, lassen einen vergessen, dass die Stadt Basel mehr oder weniger grad um die Ecke liegt und vom Hof aus sogar sichtbar ist.
Hier herrscht Idylle. Der Grossteil der Simmentaler Kühe und Kälber ist auf der Weide, die Schafherde grast in Sichtdistanz, die Pferde geniessen die Sonne, die Hofhunde freuen sich über den Besuch, die Katzen queren den Hofplatz und die Pfauen stolzieren über das Betriebsgelände. Nur eine Ziege sorgt als Ausbrecherkönigin für Action. Verschiedene Passanten melden an diesem Nachmittag, dass eine Ziege frei herumlaufe. Birrers wissen diese Aufmerksamkeit zu schätzen, kennen ihre freche
Lady aber bestens. Früher oder später wird sie sich wieder ihren Kolleginnen anschliessen. Diese «Idylle» mussten sich Daniela und Patrik während den vergangenen bald elf Jahren hart erarbeiten und nach dem heftigen Ausbruch der Blauzungenkrankheit Ende September 2024 Schritt für Schritt zurückgewinnen. Aber davon später mehr. «Als wir den Hof 2014 übernommen haben, hatte es hier nichts, nicht mal eine Schraube», erinnert sich Patrik. Die Gebäude waren in einem schlechten Zustand und so war für Daniela nach der ersten Besichtigung schnell klar: «Hierhin ziehe ich niemals.»
Harter Start, aber rückblickend eine wunderschöne Zeit
Sie waren beide viele Jahre am Strickhof – erst in Lindau und dann in Wülflingen – tätig und an ihrem Wohnort Winterthur-Wülflingen sehr gut vernetzt. Den Traum vom eigenen Hof träumte vor allem Patrik. Trotzdem liess sich Daniela zu einer «kleinen» Bewerbung für den Hof Oberaesch und zu einem weiteren Besuch überreden. Nach verschiedenen Diskussionen mit der Verpächterin Basel Stadt (Immobilien) und der positiven Reaktion ihrer Töchter Jessica und Janin schickten die beiden dann eine «grosse» Bewerbung ab, die auf Interesse stiess. Während einer Kaffeepause holt Daniela zwei Fotoalben hervor, die ihre Anfänge, auf dem Hof Oberaesch bildlich festhalten.
Der Start war kräfteraubend. Im ersten halben Jahr lebte und arbeitete ein ehemaliger Lernender und inzwischen guter Freund auf dem Betrieb. Daniela und Patrik wechselten sich ab, eine halbe Woche war sie dort, die andere Hälfte er. «Es war eine sehr anstrengende Zeit, aber rückblickend wohl eine der schönsten in unserem Leben», sinniert die Powerfrau. Die vielen strahlenden Gesichter und helfenden Hände auf den Fotos lassen erahnen, wie intensiv und speziell diese Zeit für viele Menschen aus dem Kreis der Familie Birrer war. «Freunde und Verwandte haben uns tatkräftig unterstützt. Übernachtet haben wir mit Schlafsäcken in einzelnen Räumen des Hauses, während der Rest in dieser Zeit leicht renoviert wurde. Einige Freunde, die uns längere Zeit unterstützten, schliefen im Wohnwagen. Gegessen und gefeiert haben wir gemeinsam im Tenn am grossen Festtisch», erzählt Daniela weiter. Zum Glück gehört das Bauen zu Patriks Hobbies, zumal die Umbauten auf dem Hof auch nach über zehn Jahren noch nicht abgeschlossen sind.
Birrers sind ein aktives und eingespieltes Team
Daniela und Patrik (beide 50 Jahre alt) sind ein eingespieltes Team. Kennengelernt haben sie sich 1994 in der Fahrschule. Sie war damals am Gymnasium, er gerade dabei seine Lehre als Landwirt EFZ am Strickhof Lindau / ZH abzuschliessen. Danach arbeitete er als Melker am Strickhof weiter, während Daniela ihr Agronomie-Studium an der ETH in Angriff nahm. Dem Strickhof ist Patrik bis 2014 treu geblieben. Als Meisterlandwirt hat er viele Lernende ausgebildet, als Sektorenleiter Grossviehmast und Züchter war er bis 2001 beim Milchvieh in Lindau / ZH und die folgenden 13 Jahre bei den Mutterkühen in Wülflingen aktiv. Zudem war er bei Mutterkuh Schweiz Mitglied der Herdebuchkommission und von 2009 bis 2019 Experte. Des Weiteren absolvierte er den ersten Richterkurs von Mutterkuh Schweiz. Der Aufgaben nicht genug, war das Energiebündel während einigen Jahren auch noch Präsident von Bio Nordwestschweiz und ist bei den Swissskills seit vielen Jahren als Postenchef Tierhaltung mit viel Herzblut dabei. Er hat es sogar geschafft, die Mutterkuhhaltung in
den Wettkampf zu integrieren: «Es macht Freude, den jungen Menschen beim Arbeiten zuzuschauen. Sie strahlen eine Leidenschaft aus, die im Berufsleben wichtig ist.»
Daniela steht ihm in nichts nach. Sie ist eine sehr aktive Frau, die Herausforderungen liebt und verschiedene berufliche Stationen durchlaufen hat. So arbeitete sie nach dem Studium in der Kommunikation bei Mutterkuh Schweiz, bevor sie am Strickhof in die Bildung einstieg. Sie ist Mitglied der Bildungskommission von Bio Suisse und war bis vor kurzem Präsidentin der Berufsbildnervereinigung beider Basel am Zentrum für Landwirtschaft, Natur und Ernährung Ebenrain. Zudem erteilt sie auf dem eigenen Hof als Reittrainerin C SFRV rund 20 Schülerinnen und Schülern wöchentlich Reitunterricht.
Grosse Freude hat das Ehepaar an seinen Töchtern Jessica (22 Jahre) und Janin (21 Jahre). Jessica trat vor kurzem am Herbststierenmarkt als Richterin auf. Hat sie doch 2024 den zweiten Richterkurs als Beste abgeschlossen. Sie steckt mitten im Bachelor of Science Agronomie an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL. Janin studiert an der Universität Zürich Veterinärmedizin und wohnt zusammen mit ihrem Partner Leo auf dem Hof in einer eigenen Wohnung. Leo seinerseits hat auf dem Hof Oberaesch seine Lehre als Landwirt absolviert und ist seit kurzem fest angestellt.
1000. Natura-Beef Bio Betrieb
Zurück ins Jahr 2013. Die Stadt Basel als Verpächterin stellte in der Verhandlungsphase die Bedingung, den Hof auf Bio umzustellen, was kein Hindernis darstellte, zumal Patrik den Umstellungskurs bereits absolviert hatte. Birrers ihrerseits hielten an der Mutterkuh- und Pferdehaltung fest. Schliesslich stand dem Vertrag nichts mehr im Wege und der Zufall wollte es, dass der Hof Oberaesch als 1000. Natura-Beef-Bio Betrieb in die Geschichte einging. Gestartet sind Daniela und Patrik mit 12 Rindern und vier Stammkühen der Rasse Simmental. Patrik hatte am Strickhof Wülflingen von 2001 bis 2014 Simmental und Charolais gezüchtet. An der Swissopen 2013 durfte er sich mit Hermine gar über eine Miss Beef freuen. Für ihn war klar, dass er auf dem Hof Oberaesch Simmentaler züchten wollte: «Unser Zuchtziel ist eine hornlose, mittelgrosse Kuh, deren Fleisch- und Milchleistung sich die Waage halten. Zudem zählt für uns, dass die Kuh einen guten Mutterinstinkt hat und zugleich menschenfreundlich ist.»
Aktuell halten Birrers 26 Mutterkühe mit Kälbern und 12 Aufzuchtrinder plus einen eigenen Stier. Als Eigenbestandsbesamer greift Patrik zudem auf die künstliche Besamung zurück. Die Tiere sind auf drei Herden aufgeteilt: eine Rinderherde, eine Kuhherde mit männlichen Nachkommen und eine Kuhherde mit weiblichen Nachkommen. Die insgesamt 27 Pferde verschiedener Grösse, Rasse und Farbe (zehn davon gehören ihnen selbst) sind in vier Gruppen aufgeteilt, die in Laufställen mit freiem Zugang zur Weide zuhause sind. Wer mit Daniela und Patrik einen Hofrundgang unternimmt, spürt schnell, wie gern sie ihre Tiere – dazu gehören auch die Pensionspferde – haben. Wenn es einem Tier nicht gut geht, leiden sie mit und versuchen alles, damit es wieder gesund wird. Umso schlimmer war es, als im September 2024 mit aller Heftigkeit und
aus dem Nichts die Blauzungenkrankheit ausbrach. Ein Rind fanden sie tot auf der Weide, alle anderen Rinder wurden in den folgenden Tagen schwer krank. Zunächst wussten sie gar nicht, womit sie es zu tun hatten. Mit der Zeit wurde das Thema dann publik. Die Doppelimpfung konnten sie allerdings erst im Februar 2025 vornehmen. Einige Kälber hatten zu dieser Zeit ein Geburtsgewicht von 20 Kilogramm, zeigten Verhaltensauffälligkeiten und schlechte Tageszunahmen. Sie kämpften um jedes einzelne Tier, auch wenn sie wussten, dass es sich finanziell nicht lohnen wird. Die Krankheit betraf nicht nur die Kühe. Auch ihre Dorperschafe (aktuell zählen sie 20 Auen) waren stark davon betroffen. Die wenigsten der Lämmchen waren lebensfähig, sofern sie überhaupt lebend zur Welt kamen. Kam dazu, dass die Pferde zeitgleich einen Herpesvirus hatten. «Emotional und vom Zeitaufwand her waren es sehr harte und anspruchsvolle Wochen und Monate. Waren wir doch mehr oder weniger die ganze Zeit am Fieber messen», erinnern sich die beiden. Auch finanziell und züchterisch mussten sie zurückstecken. Trotz allem haben Birrers das Lachen nicht verloren und sind guter Dinge: «Langsam aber sicher sind wir auf dem Weg in die Normalität.» Die kürzlich geborenen Kälber haben wieder ein normales Geburtsgewicht und die letzten Leichtgewichte haben den Hof Richtung Schlachthof verlassen.
Tolles Team mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Fähigkeiten
Dieser Optimismus ist beeindruckend und zeigt sich auch bei anderen Betriebszweigen. Vor kurzem hat ihnen Migros mitgeteilt, dass ihre Bio-Baumnüsse keinen Platz mehr haben im Sortiment. Statt den Kopf hängen zu lassen, suchen Birrers einen neuen Partner, der ihnen zwischen 500 bis 700 Kilogramm Baumnüsse abnehmen wird. Beeindruckend sind aber auch die zwischenzeitlich 61 Hektaren landwirtschaftliche Nutzfläche, die sie bewirtschaften. Zu ihren Betriebszweigen gehören nebst den Mutterkühen, den Schafen, den Pensionspferden, der Reitschule und den Nussbäumen, auch fünf bis sieben Hektaren Ackerland und die Zusammenarbeit mit dem Jugendsozialwerk Blaues Kreuz Basel-Land. Was mich persönlich an diesem Nachmittag – im Wissen um die Grösse und die Vielseitigkeit des Betriebes – denn auch am meisten berührt, ist die schöne und ruhige Atmosphäre auf dem Hof Oberaesch. Hier arbeiten Menschen mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen und Fähigkeiten erfolgreich zusammen. Daniela freut sich über meine Einschätzung: «Ja – im Moment haben wir wirklich ein gutes
Team beisammen.» Dazu gehören nebst dem Angestellten Leo noch zwei Lernende. Leonora ist anlässlich meines Besuchs in den Ferien. Christoph, der zweite Lernende, ist über die Arbeitsintegration des Jugendsozialwerks Blaues Kreuz BL zur Familie Birrer gestossen. Wie auch die Mitarbeiterinnen Lea und Magali sowie Mitarbeiter Joel, der zusammen mit seiner Hündin Kira am Morgen und am Abend die Kühe versorgt. Daniela und Patrik haben nicht nur ein gutes Gespür für Tiere, sie haben auch das Talent, ein vielseitiges Team zu führen. Für ihre Mitarbeitenden, die alle ausserhalb des Hofes leben, organisieren sie Feste und beschenken sie jährlich mit einem kreativen Weihnachtsgeschenk – mit aufgedrucktem Betriebs-Logo versteht sich. Die Kleidungsstücke – ebenfalls mit Logo – werden bei der Arbeit mit Stolz getragen und demonstrieren den guten Teamgeist.
Christoph, der mir freundlicherweise auf der schmalen Strasse zum Bahnhof Aesch / BL vorfährt, wo ich das Mobility-Auto parke, schenkt mir zum Abschied eine hübsche kleine Pfauenfeder. Die zweite grosse Feder, die aus meiner Tasche herausragt, zieht während der Heimreise im Zug interessierte Blicke auf sich. Am Bahnhof Oerlikon schliesslich wird sie von einem kleinen Mädchen, das mit seiner Oma unterwegs ist, mit grossen Augen bewundert. Kurzerhand und ohne viel zu überlegen, schenke ich ihr die Feder. Ihr Strahlen berührt mich und rundet diesen schönen Tag perfekt ab. Wie hat Adalbert Ludwig Ballig so treffend gesagt: «Freude ist wie ein Stein, der, ins Wasser geworfen, immer grössere Kreise zieht.»