Carolina und Sandro Caderas, Ruschein, GR

Junges Power-Paar mit einer Faszination für die «grossen Tiere»
Pierina Zemp – Die beiden sind gerade mal Mitte Zwanzig und führen bereits seit einigen Jahren ihren eigenen Mutterkuh Betrieb in Ruschein / GR. Sandro und Carolina Caderas wissen, was sie wollen bzw. nicht wollen. Zusammengebracht hat die beiden ihre Faszination für die «grösseren Tiere». Dazu gehören auch ihre Charolais Mutterkühe, deren Zucht sie mit viel Leidenschaft vorantreiben möchten.
Carolina Caderas holt mich mit dem Auto in Ilanz / GR am Bahnhof ab. Die junge Powerfrau arbeitet 100 Prozent im Büro bei der Bianchi Bau AG in Obersaxen. Die Arbeit gefällt ihr sehr – dieses Jahr feiert sie ihr zehnjähriges Jubiläum. Der Büroalltag bietet den idealen Ausgleich zu den Aufgaben auf dem Betrieb – oder umgekehrt. «Ich mag grosse Tiere und bin jeden Tag mindestens einmal im Stall. Wenn auch nur kurz nach der Arbeit, um meinen Mann zu treffen oder den Tieren hallo zu sagen», weiht sie mich in ihren Alltag ein. Mit den «grossen Tieren» spielt Carolina natürlich auf die kräftigen Charolais an, erklärt mir aber auch, dass das bereits vor der Zeit mit Sandro so war. So ist zum Beispiel ihre achtjährige deutsche Schäferhündin Luna auch ein grosses Tier. «Kleinere, zierlichere Rassen gefallen mir einfach nicht gleich gut», hält sie fest. Sandro ist tagsüber vorwiegend allein auf dem Betrieb. Seit kurzem unterstützt ihn zeitweise Carolinas Vater, der – im Gegensatz zu seiner Tochter – eher ein grosses Herz für kleinere Tiere hat. Betreibt er doch eine Kanarienvogelzucht mit rund 500 bis 600 Tieren.
Bei gewissen Arbeiten benötigt Sandro schlicht noch zwei Hände mehr. Dies sei

vor allem im Sommer der Fall, wenn die Arbeitstage besonders intensiv seien. «Aber es ist für mich selbstverständlich, mitzuziehen und ich bin dankbar, dass mein Arbeitgeber mich unterstützt und ich auch mal kurzfristig oder frühzeitig das Büro verlassen kann», erzählt Carolina auf dem Nachhauseweg. Einen Bauern heiraten wollte sie nie. Aber kaum in Ruschein auf dem Hof angekommen, spüre ich, wie gut Sandro und Carolina zusammenpassen und sich ergänzen: «Wir sind immer ein Team. Beide haben wir unsere Aufgaben und Verantwortlichkeiten, holen aber gerne die Meinung des anderen ein, bevor wir entscheiden. Wenn wir dann entschieden haben, unterstützen wir uns und halten zusammen – komme was wolle.»
Charakter und Zuchtwerte müssen passen

Auf dem Hofgelände treffen wir zuerst auf Carolinas Papa Henrique. Sandro Caderas tätigt noch ein paar letzte Handgriffe im Stall. Er ist der Chef auf dem Betrieb, der rund 33 Hektaren umfasst. Der grösste Betriebszweig ist klar die Mutterkuhhaltung mit 20 Kühen und ihren Kälbern. Der Hof ist zudem das Zuhause von elf Ziegen, drei Katzen und den beiden Schäferhunden. Wobei Letztere eher im rund einen Kilometer entfernten Wohnhaus leben. Beinahe 100 Prozent der Betriebsfläche besteht aus Wiesen und Weiden für die Mutterkühe. Sandro erklärt mir, dass er auf einigen Flächen mit Blacken zu kämpfen hat. So hat er begonnen, auf kleineren, ebenen Flächen den Anbau von Futtermais zu testen. Das Umpflügen zweimal jährlich hat in Bezug auf die Blacken geholfen. Er
schätzt, dass er rund 80 Prozent loswerden konnte. Jedoch ist es sehr kosten- und zeitaufwändig, in der Region an die Gerätschaften für die Futterernte zu kommen.
Bei der Auswahl der Tiere begleitet Carolina ihren Ehemann gerne. Während beim begeisterten Jungzüchter die Zuchtwerte und Zahlen vermehrt an Gewicht gewinnen, ist es seine Frau, die die Tiere intuitiv nach deren Charakter beurteilt. Beiden ist es wichtig, dass sie ihre Tiere berühren können. Das Grundvertrauen zwischen Mensch und Tier muss vorhanden oder aufbaubar sein. Dabei geht es um die tägliche Arbeit im Stall oder um die heikleren Momente während des Abkalbens. Aber auch um die Verantwortung, die das Paar für die Tiere trägt, wenn sie im Sommer auf der Alp sind und auf fremde Personen treffen. «Wir hatten eine Kuh im Stall, die Sandro ohne mich gekauft hat. Mit ihr hat es schlicht nicht funktioniert. Sobald ich im Stall war, musste ich sie immer im Auge behalten. Ich konnte ihr nicht trauen», erinnert sich Carolina. «Das wollen wir beide natürlich nicht – auch wenn es eine wirklich schöne Kuh war», fügt Sandro schmunzelnd hinzu. Daher bin ich mir sehr sicher, dass Carolina ihren Mann in Zukunft immer auf seine Einkaufstouren begleiten wird.
Charolais in der Bergzone 3 – macht das überhaupt Sinn?

Da sich diese Ausgabe von die Mutterkuh dem Schwerpunkt «Jubiläums-Stierenmarkt» und somit der Zucht widmet, war schnell klar, dass dies auch der Fokus des Beitrags «Zu Besuch» sein soll. Im vergangenen Herbst haben meine Kolleginnen aus dem Team Herdebuch einen sehr erfolgreichen Workshop für Jungzüchterinnen und Jungzüchter auf die Beine gestellt. Dort haben sie Carolina und Sandro kennen gelernt und mir geraten, bei dem jungen Paar anzuklopfen. Bei meiner ersten Recherche im BeefNet bin ich schnell über deren Rasse gestolpert: Charolais in dieser Region? Meine Neugier war geweckt und so ist es heute auch direkt eine meiner ersten Fragen an Carolina und Sandro: «Warum Charolais?»
Carolina lacht und meint: «Mir gefällt grundsätzlich die Grösse, die Kraft der Tiere – und deren Farbe. Als wir uns dann bei einem Händler umgesehen haben, habe ich mich auf den ersten Blick in Luana, ein wunderschönes, weisses Rind, verliebt. Von da an war für mich klar, dass dies unsere Rasse sein würde.» Auch Sandro hat eine besondere Verbindung zu den grossen, hellen Tieren. Er hat den Betrieb in Ruschein von seinem Vater übernommen – leider viel früher, als es sich die Familie gewünscht hätte. Der Vater kam bei einem Betriebsunfall ums Leben, als Sandro 18 Jahre alt war. «Ich habe diese Erinnerung an früher, als ich ein Kind war, etwa vier Jahre alt. Da war mein Papa an einer Viehschau mit einer wunderschönen Kuh im Ring. Er wurde ausgezeichnet und ich war so glücklich und stolz, als mich jemand über die Panels gehoben und zu meinem Vater gestellt hat. Die Kuh im Ring war eine Blonde d’Aquitaine, wir hatten zu der Zeit nebst einigen F1-Kühen aber auch zwei Charolais Kühe im Bestand. Das ist mir geblieben und darum gefallen mir die mächtigen weissen Tiere wahrscheinlich auch heute
noch so sehr», erinnert sich der Jungbauer. Aber natürlich baut man einen neuen Zuchtbestand nicht nur aufgrund der Optik auf. Nachdem sich Carolina und Sandro, was diesen Punkt angeht, einig waren, haben sie sich intensiver mit der Rasse auseinandergesetzt. Sie haben mit Züchtenden gesprochen und sich Gedanken betreffend Standort gemacht. Die Kontakte konnten teilweise durch den Charolais Rassenclub hergestellt werden. Einige Betriebe haben Carolina und Sandro aber auch direkt durch ihre Online-Recherche gefunden und kontaktiert. Besonders gut informiert haben sie sich in Bezug auf den Charakter der Tiere, die Abkalbe-Eigenschaften und die Klauengesundheit. Auch wollten sie in Erfahrung bringen, ob es möglich wäre, Natura-Beef zu produzieren. Einen längeren Austausch hatten sie mit einem Landwirt, der auf 1400 Metern Höhe Charolais hält. Sandro erinnert sich an das Gespräch: «Mir ist vor allem geblieben, dass die Charolais sehr gute Raufutterverzehrer sind.» Ich möchte noch etwas genauer erfahren, wie Sandro den Charakter seiner Rasse beschreiben würde. «Sie sind positiv neugierig, jedoch ruhiger und nicht ganz so spritzig, zumindest verglichen mit den Limousin Kälbern, die ich noch auf dem Betrieb habe. Vielleicht einfach etwas mehr «patgific», wie wir hier zu sagen pflegen.» So lasse sich die Herde auch immer gut und einfach zügeln – die Tiere folgen Sandro und Carolina in einer Seelenruhe. «Ich glaube aber, dass dies auch damit zu tun hat, dass wir viel Zeit mit den Tieren verbringen und uns dieses gegenseitige Vertrauen sehr wichtig ist.»
Auch wenn es ein wunderschöner Wintertag ist, ist es eisig kalt. So beschliessen wir, noch einige Fotos von und mit den Tieren zu machen, um dann ins Warme zu wechseln. «Wir haben überlegt, Emily mit aufs Bild zu nehmen. «Mit ihr fahren wir im April dieses Jahres zum ersten Mal an die Swissopen», freut sich Sandro und verschwindet im Laufhof, um das Jungrind zu holen. «Wir gehen einige Meter zu Fuss, da gibt es einen Platz mit tollem Ausblick. Wir haben da auch unsere Hochzeitsfotos gemacht. So können wir mit Emily direkt noch das Gehen am Halfter üben», hält Carolina fest. Ich freue mich, dass sich die beiden so gut vorbereitet haben und folge dem Gespann, dem sich auch der rote Kater Jerry angeschlossen hat.
Die kritischen Stimmen waren spürbar
Zurück zur Entscheidung von Sandro und Carolina. Sandro bekam so manche kritische Rückmeldung zur Wahl seiner Zuchtrasse. Entmutigen lässt er sich davon jedoch nicht – im Gegenteil, ihm steht die Begeisterung ins Gesicht geschrieben: «Vielfach ging es bei der Kritik um das Zerstören des Bodens – natürlich ein Thema mit schweren Tieren.» Da habe er zwischenzeitlich gute Erfahrungen gemacht, wenn er die Tiere in grösseren Gruppen auf eher kleinen Flächen weiden lasse, regelmässig nachzäune und sie verschiebe. Grössere Gruppen bewegen sich weniger als Kleine. Vielleicht bedeute es etwas mehr Aufwand, doch es funktioniere, der Boden sei intakt. Zudem ist Sandro noch immer am Auspröbeln und Finden seiner passenden Zuchtlinie. Zeitweise lief ein Stier mit der Herde mit. Nun, da bereits rund die Hälfte seines Bestands aus Charolais Tieren besteht, setzt der junge Betriebsleiter auf KB. So kann er sich anhand der Zuchtwerte passende Stiere für seine Damen auswählen. «Das finde ich unglaublich spannend und eindrücklich. Ich staune immer wieder, wie aus einem Samen diese grossen, schönen Tiere entstehen», erklärt er. Aber zurück zu Sandros Zuchtlinie – denn zu gross und zu schwer sollen seine Tiere optimalerweise wirklich nicht werden.

Der Boden ist ein Grund dafür, aber auch die Geburtsabläufe spielen eine Rolle. Die Rasse Charolais steht im Verruf, häufiger zu schwierigeren Geburten zu führen. Sandro erklärt, dass er entschieden habe, mehr auf die schwedische als auf die französische Genetik zu setzen. Die schwedische Linie sei deutlich feiner und leichter. Anscheinend hat er Erfolg damit: Bei den bisher sieben Kühen, die gekalbt haben, gab es keine Komplikationen. Eine tolle Bilanz! «Gibt es denn jemanden, mit dem du dich austauschen kannst? Von dem du lernst oder Inputs bekommst auf diesem Weg des Züchtens?», möchte ich vom jungen Züchter wissen. Einmal mehr lacht er: «Für mich ist Flavio Ferrari, ebenfalls Mitglied im Charolais Rassenclub und erfahrener Züchter am Strickhof in Wülflingen, Anlaufstelle Nummer 1. Ich kann ihn alles fragen und was er weiss, gibt er weiter. Und Flavio weiss sehr viel! Das schätze ich ungemein.»
Abkalbungen auf der Alp

In der Zwischenzeit sitzen wir am Küchentisch bei einer Tasse Kaffee. Das Sonnenlicht taucht den gemütlichen Wohnraum in ein warmes Licht. Mir fallen besonders die Erinnerungsstücke an die Hochzeit der beiden im Herbst 2023 auf. Der Blick aus dem Fenster auf das verschneite Bergpanorama ist beeindruckend schön. Wie auf den meisten Betrieben in der Bergzone, zieht ein Teil der Tiere von Sandro und Carolina im Sommer auf die Alp. Neu ist dies die Alp Garveras
oberhalb des Bergrestaurants «Wali» in Obersaxen. Sandro erzählt, warum dem so ist: «Auf unserer bisherigen Alp durften unsere Kühe nicht mehr abkalben. Das heisst, wir mussten die Abkalbungen auf das Winterhalbjahr legen. Dies hat für mich jedoch in verschiedener Hinsicht nicht gepasst.» Sandro hatte vermehrt Kälber, die kränklich waren. Die Tiere, die im Sommer zur Welt kommen, sind gemäss seiner Erfahrung fitter. Zudem sei es leichter, über den Winter mit der Fütterung Einfluss zu nehmen, um möglichst optimal gedeckte Tiere liefern zu können. Dafür erhalten die Kälber zusätzlich etwas Mais. Die Winter Kälber seien meist zu leicht von der Alp zurückgekommen. Auf der Alp Garveras ist es nun wiederum möglich, dass die Tiere im Sommer abkalben. «Dieser Rhythmus passt zu mir, zu meiner Überzeugung und unseren Tieren besser und ich bin dankbar, dass wir diesen Weg gefunden haben. Zudem spare ich mir Arztkosten und verdiene besser mit den gut taxierten Tieren», ist Sandro überzeugt.
Der lange Weg zur eigenen Stierzucht
An diesem Nachmittag wird mir klar: Es ist ein langer Weg zur eigenen erfolgreichen Stierzucht. Die Basis dafür haben Sandro und Carolina schon mal geschaffen. Nun geht es um den weiteren Aufbau der Herde und um das Finden der passenden Genetik. Es wird noch einige Jahre dauern, bis die ersten Stiere von Familie Caderas auf den Markt kommen. Doch ich bin mir sicher, dass die beiden ihre Ziele erreichen können. Immer wieder spüre ich, wie engagiert, positiv neugierig und aufgestellt das Power-Paar ist. Sie verfolgen ihren Weg mit dem grossen Ziel, ihre eigene Zucht aufzubauen und lassen sich dabei nicht von kritischen Meinungen beirren. Das imponiert mir und ich wünsche den beiden sehr, dass sie diesen Tatendrang und die Energie beibehalten werden. Beide erachten es als wichtig, sich zu zeigen und zu vernetzen. So war für die zwei auch früh klar, dass sie an der Swissopen 2025 teilnehmen möchten: «Wahrscheinlich können wir mit den erfahrenen Züchterinnen und Züchtern noch nicht mithalten, aber es geht darum, Erfahrungen zu sammeln und einfach mal zu beginnen.» Auch Online sind die beiden aktiv und nutzen verschiede Social Media

Kanäle, um ihre eigene Marke zu zeigen und ihre Bekanntheit zu steigern. Auch an diesem Abend steht ein besonderer Programmpunkt an. Carolina und Sandro fahren nach Brunegg in die Vianco Arena. Dort findet der Jubiläumsanlass zum 100. Stierenmarkt statt. Da mein Zuhause auch im Aargau liegt, nutze ich die Gelegenheit und fahre mit den beiden zurück ins Unterland. Der Gesprächsstoff geht uns auch während der dreistündigen Fahrt nicht aus und ich freue mich, dass ich an nur einem Nachmittag einen so spannenden Einblick in die Zucht erhalten und viel Neues dazu lernen durfte.