Pirmin Adler, Oberrüti, AG
«Agroforst ist gut fürs Klima und das Tierwohl»
Franziska Schawalder – Auf dem Hof Adlerzart in Oberrüti / AG schafft Pirmin Adler eine Oase, in der sich Tiere und Menschen wohl fühlen können. Er kombiniert die Mutterkuh- und Weidepoulet-Haltung mit dem Anbau von Bäumen und Sträuchern. Dafür hat er anfangs Jahr den Förderpreis Agroforst Aargau für das Projekt «Weide mit Nutzhecken» erhalten.
Haben Sie gewusst, dass die jungen Knospen der Vogelbeere nach Marzipan schmecken und die Früchte herb sauer sind? Falls nein – willkommen im Club. Von Kindesbeinen an wurde mir eingebläut, dass Vogelbeeren – auch Ebereschen genannt – im Rohzustand giftig sind. Klar sollte man nicht den halben Busch leerräumen, aber wer in kleinen Mengen davon isst, profitiert unter anderem von deren Vitamin A- und C-Gehalt. Pirmin Adler nascht regelmässig von seinen rund 20 verschiedenartigen Gehölzen. «Grundsätzlich ist fast alles essbar», erklärt er und hält mir ein Maulbeerblatt hin. Interessiert beisse ich ein Stück ab, kaue
was das Zeug hält – schliesslich handelt es sich nicht um einen frischen, zarten Kopfsalat – und bin erstaunt, wie gut es schmeckt. Auch seine zwei reinrassigen Limousin Herden fressen auf der Weide direkt ab Busch. «Es ist erwiesen, dass Reisigfutter und Laub in Bezug auf Mineralstoffgehalte und medizinisch wirkende Stoffe unübertroffen sind», betont der Landwirt. Vor sieben Jahren hat er den 22 Hektaren grossen Hof (davon 2 Hektaren Ackerbau) von seinem Vater Hans übernommen, der vor rund 20 Jahre auf Mutterkuhhaltung umgestellt und den Betrieb bereits nachhaltig geführt hat.
Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft stehen im Zentrum
Pirmin Adler ist wissbegierig, offen und möchte zukünftigen Generationen ein vielfältiges, klima- und ertragsstabiles Ökosystem hinterlassen: «Die Themen Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft stehen im Zentrum meines täglichen Schaffens. Der Betrieb soll möglichst autark sein und ein Wohlfühlplatz für Mensch und Tier.» Was er damit genau meint, ist auf seiner Website adlerzart.ch
zu lesen: «Die Tiere fressen, was unsere Felder hergeben und liefern ihrerseits den natürlichen Dünger. Dieser dient den Pflanzen zum Wachsen und bietet Nahrung für Insekten und Bodenlebewesen. Im ge-
schlossenen Betriebskreislauf halten wir nur so viele Tiere, wie mit hofeigenem Futter versorgt werden können.» Der 46-Jährige ist denn auch überzeugt, dass bei richtiger Haltung und Fütterung das Rind alles andere als ein «Klimakiller» ist. Denn eine weidende Kuh regt das Wachstum der Wiesen an und das Gras bildet Feinwurzeln aus, die sehr hohe Mengen an CO2 speichern können. Den Kohlenstoff nutzen dann die Gräser wiederum für ihr Wachstum. Somit werden die Gasemissionen der Kuh neutralisiert und bilden einen Kreislauf. Für Pirmin Adler sind deshalb Rinder nicht nur Milch- und Fleischlieferanten, sondern sie leisten auch einen wichtigen Beitrag zum Bodenaufbau und schaffen somit gute Voraussetzungen für einen erfolgreichen Ackerbau. Apropos Boden: Dank den Gehölzen wird er intensiver durchwurzelt, was zur Folge hat, dass auch tiefere Bodenschichten erschlossen und belebt werden. Dies führt zu einer besseren Wasser- und Nährstoffverfügbarkeit, wovon wiederum die Kulturen zwischen den Gehölzreihen profitieren.
500 verschiedene Gehölze von einem Kilometer Länge
«Ganz allgemein stehe ich für mehr Vielfalt ein. So auch beim Futter der Kühe», erklärt Pirmin Adler. Womit wir beim Thema Agroforst gelandet sind. Denn seine Tiere werden geradezu angehalten, sich auf ihren Weiden an den hochwertigen Futtergehölzen selbst zu bedienen. «Je nach Bedarf und Jahreszeit verschlingen sie es regelrecht.» Vor zwei Jahren hat er begonnen, sich vertieft mit dem Thema Agroforst auseinanderzusetzen. Im Vorfeld hat er diverse relevante Kriterien genauer unter die Lupe genommen. So hat er
beispielsweise auf einigen Wiesen baumlose Streifen angebracht, um das Weidenmanagement zu testen oder den Kühen Laub verfüttert und Frischzweighäcksel als Einstreu verwendet. Die Ergebnisse haben ihn überzeugt und so pflanzte er im Herbst 2022 während rund vier Tagen mit 10 bis 14 Helferinnen und Helfern auf seinen Weideflächen rund 1500 verschiedene Gehölze (Sträucher, Wildobst und Laubholzbäume) von insgesamt einem Kilometer Länge. Wobei die Auswahl der Gehölze und der Pflanzplan gemäss seinen Angaben am meisten Zeit in Anspruch genommen haben. Für diesen Einsatz hat er im Januar dieses Jahres den Förderpreis Agroforst Aargau für das Projekt «Weide mit Nutzhecken» gewonnen. Dieser Förderpreis ist ein Projekt von Landwirtschaft Aargau und der Abteilung Landschaft und Gewässer im Rahmen des kantonalen Entwicklungsschwerpunkts Klima. Seine Ideen werden übrigens auch als Projekt von der Schweizerischen Stiftung Visio-Permacultura und dem FLS (Fonds Landschaft Schweiz) mitunterstützt.
Agroforstsystem ist eine Selbstbedienungsapotheke
«Agroforst ist gut fürs Klima und das Tierwohl. Zwischenzeitlich bin ich so davon überzeugt, dass ich erst damit aufhören werde, wenn alle 22 Hektaren Weide- und Ackerfläche bepflanzt sind», hält Pirmin Adler entschlossen fest. Zudem seien Rinder Wald- und Steppentiere und da gehörten Gehölz und Laub zu den natürlichen Nahrungsmitteln. Einen Teil nehmen sie – wie bereits erwähnt – direkt an den Futterhecken auf. Einen weiteren Teil konserviert er, sodass die Tiere auch im Winter vom Gehölz profitieren können. Die Nährwerte von Laub ähneln gemäss seiner Aussage oft denen von gutem Wiesenheu. Von den Stockhecken gewinnt er Frischzweighäcksel als Einstreu und Substrat zur Bodenbelebung. Nebst der Erweiterung des Futterangebots und der Einstreu möchte er die Hecken im Sommer auch als Schattenspender nutzen. Zudem ist er der Überzeugung, dass die gesamte Agroforstanlage dank der Verdunstung auf den Weiden für Kühlung und im Stall die Häcksel für ein gutes Klima sorgen werden. Verschiedenen Gehölzen wird auch eine heilende Wirkung nachgesagt. Der Landwirt liebt es, seine aktuell 70 Rindviecher, davon 25 Mutter-
kühe, genau zu beobachten. Für die Tiere ist das Agroforstsystem nämlich eine eigentliche Selbstbedienungsapotheke, die nebst Mineralstoffen diverse Heil- und aromatische Geschmacksstoffe bietet. Dies äussert sich in einer besseren Immunabwehr der Tiere und entsprechend weniger Krankheiten, vor allem bei den anfälligen Jungtieren. «Im Stall konnte ich schon beobachten, dass einige Kühe das Futtergehölz richtiggehend verschlungen haben, während andere es links liegen liessen. Die Tiere spüren instinktiv was ihnen gut tut», ist Pirmin Adler überzeugt.
Mutterkuhhaltung und Weidepoulets
Der Freiämter hält zwei Herden. Eine grössere mit Mutterkühen und Kälbern und eine zweite mit Weidemast. Seine Jungtiere werden je nach Zustand und Gewicht zwischen 17 und 22 Monate alt. Obwohl er nicht züchtet, hat er sich bewusst für reine Limousin-Herden entschieden: «So kann ich beim Fleisch immer die gleiche Qualität bieten.» Ein Grossteil des Fleisches wird unter dem Logo Adlerzart direkt vermarktet. Die Zerlegung nach Kundenwünschen besorgt eine Metzgerei, die grad um die Ecke liegt. Seit geraumer Zeit macht er sich zudem Gedanken über die Hoftötung, was gut in sein Konzept passen würde. Schade ist einfach, dass seine Metzgerei keine Schlachtung anbietet. «Aber da lässt sich bestimmt eine Lösung finden. Alles zu seiner Zeit, Schritt für Schritt», hält er, der den grössten Teil seiner Arbeit von Hand verrichtet, fest. Dazu muss erwähnt werden, dass er lange Zeit Radrennen gefahren ist und körperliche Herausforderungen nach
wie vor braucht und schätzt. «Heute bleibt mir nicht mehr so viel Zeit zum Velofahren», schmunzelt der topfitte Aargauer, der nach wie vor mit seiner Freundin mit dem Rennrad unterwegs ist.
Ein weiteres Standbein des Hofs Adlerzart, das sich bestens in die Hofphilosophie einfügt, sind die Weidepoulets (jeweils von Februar bis Oktober). Als ich auf dem Hof eintreffe, begrüsst mich als erstes eine Gruppe Bressehähnchen. Mit ihrem roten Kamm, dem weissen Federkleid und den blauen Beinen tragen sie die Nationalfarben des Ursprungslands Frankreich. Sie wachsen zwar langsamer, sind dafür aber robust, vital und besitzen starke Knochen. Während drei Monaten geniessen die weiblichen und männlichen Tiere tagsüber die frische Wiese und verbringen die Nacht im geschützten, mobilen Freilaufstall. Seit kurzem hat Pirmin Adler mit sechs Legehühnern eine zweite (Test-) Gruppe gebildet. Sie geniessen die absolute Freiheit und bewegen sich auf dem ganzen Hofgelände. «Bis jetzt machen sie einen guten Job», lacht er. Sie erledigen einiges an «Putzarbeit» im Stall und legen erst noch recht fleissig Eier. Wie könnte es anders sein, als dass der Freiämter auch schon das eine oder andere Mal über eine eigene Zucht nachgedacht hat. Aber das sei noch alles andere als sicher. Aktuell bezieht er die Küken von einem befreundeten Hof. Die schonende Schlachtung und Weiterverarbeitung der Hähnchen erledigt er selbst in der hofeigenen Metzgerei. Der Erfolg gibt ihm recht, seine ebenfalls direkt vermarkteten Poulets sind gefragt.
Gute Erfahrungen und viel Knowhow
Mit seinen bisherigen Agroforst-Erfahrungen ist der Aargauer sehr zufrieden: «Ich konnte neue Kunden gewinnen und die Tiergesundheit ist sehr gut. Zudem hat sich mein Know-how im Bereich Agroforst herumgesprochen.» Zwischenzeitlich hatte er auf dem Hof schon den einen oder anderen Flurgang bzw. Kurs, unter anderem für den Kanton Aargau, das BLW und das BAFU, interessierte Landwirte sowie ZHAW-Studierende. Mit eigens erstellten Feldtafeln ist er bestens vorbereitet um über Agroforst-Effekte, Bewirtschaftungstypen, Selbstmedikation, Boden, Wurzeln und Laubfutterwirtschaft zu referieren. Allein vier Tafeln tragen den Titel «Unsere Helden». Darauf abgebildet sind – wie könnte es anders sein – Sommerlinde, Feldulme, Hängebirke, Grauerle, Rotbuche, Ahorn, Esche, Wildbirne etc. Diese Tafeln
verraten mir beispielsweise, dass die Eberesche – und damit wären wir wieder bei der Vogelbeere – eine gute Medizin bei Parasiten und Durchfall ist. «Und wie steht es mit den Maulbeeren?», möchte ich von Pirmin Adler wissen. «Sie stärken das Immunsystem und helfen bei Erkältungen. Wenn du also magst, kannst du gerne noch das eine oder andere Blatt mitnehmen.»