Patrick Dönz, Sarn, GR
Zu Besuch auf der Porteiner Alp
Franziska Schawalder – Mutterkühe leisten heute einen wichtigen Beitrag, wenn es um die Bestossung der Alpen geht. Allerdings ist die Anzahl Abkalbungen im Sömmerungsgebiet in den letzten Jahren aus verschiedenen Gründen stark zurückgegangen. Ein Grund ist sicher die Wolfspräsenz. Die Porteiner Alp am Heinzenberg lässt sich davon nicht abschrecken. Dank guten Voraussetzungen und viel Einsatz aller Beteiligten soll dieser natürlichsten Art der Rindvieh-Geburt auch in Zukunft nichts im Wege stehen.
Es ist gar nicht so einfach eine Alp zu finden, auf der noch Abkalbungen stattfinden, erst recht nicht im Einzugsgebiet eines Wolfsrudels. Doch wer sucht, der findet. So reise ich Ende Juni Richtung Heinzenberg auf die Porteiner Alp, auf romanisch Alp da Purtein. Alpmeister Patrick Dönz erwartet mich bei ihm zuhause in Sarn. Bereits im Voraus hat er mich darauf aufmerksam gemacht, dass
es eine sehr besondere Alp ist, die sich eben auch für Abkalbungen eignet.
Sprich, nicht alle haben solch gute Voraussetzungen. Trotz allem bedeutet
es viel Aufwand, der sich seiner Meinung nach aber lohnt. Die Porteiner Alp gehört zusammen mit der Alp Sarn zur Landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsgenossenschaft Sarn. Als Verpächterin tritt die Gemeinde Cazis auf. Über beide Alpen verteilt sind es insgesamt acht Bestösser und eine Bestösserin aus Sarn, darunter acht Mutterkuhhaltende.
Zwei Abkalbeweiden in Sichtweite der Hütte
Patricks Hof, den er 2022 von seinem Vater übernommen hat, liegt auf rund 1100 m ü. M. Die Alphütte liegt auf rund 1850 m ü. M. Zirka 15 Minuten dauert die gemeinsame Autofahrt vom Hof zur Hütte. «Das ist einer der grossen Vorteile in Bezug auf die Abkalbungen», erklärt der Alpmeister. Wichtig ist auch das gute Miteinander mit Hirtin Heidi Deflorin. Sie hat vor vier Jahren die Alp notfallmässig mitten in der Saison übernommen, weil ihr Vorgänger schwer erkrankte. Dass Heidi ursprünglich aus dem Raum Basel stammt, ist meiner Meinung nach nicht hörbar. Die 60Jährige bringt viel Erfahrung mit. Sie hat zig Jahre in der Landwirtschaft gearbeitet. «Das ist jetzt schon mein 20. Alpsommer», erzählt sie. Vor ihrer Zeit auf der Porteiner Alp hat sie auf Milchvieh und Rinderalpen gearbeitet. «An die Mutterkühe musste ich mich erst gewöhnen und bis heute begegne ich ihnen mit dem nötigen Respekt.» Zwischenzeitlich kennt sie fast jede Kuh beim Namen, weiss um ihre Eigenheiten
und Charakteren. Die beiden Abkalbeweiden, die mit zwei Litzen eingezäunt sind, liegen in unmittelbarer Nähe zur Hütte. So kann sie die Tiere gut beobachten und dem entsprechenden Besitzer bzw. der Besitzerin im entscheidenden Moment Bescheid geben. Mutter und Kalb bleiben 14 Tage in der Abkalbeweide, bevor sie wieder zum Rest der Herde stossen. Aktuell sind 75 Mutterkühe auf der Alp, 21 davon gehören Patrick. Gemeinsam besuchen wir seine Simmentaler Ladies. Zu Beginn werde ich intensiv beäugt und es ist mir etwas mulmig in der Magengegend. Aber ja – «Trau, schau, wem!» heisst es für Zwei- und Vierbeiner. «Hier unten scheint sich der ‹Kindergarten› angesiedelt zu haben», freut sich Patrick und zeigt auf eine Gruppe von Tieren. Während sich die Kühe der drei Bestösser und der einen Bestösserin auf der grossen Weide vor allem zu Beginn der Saison im eigenen Herdenverbund bewegen, treffen sich die Kälber aller Gruppen zum Spielen. In unmittelbarer Nähe des «Kindergartens» sind auch ein paar Kühe am Wiederkäuen. Heidi ist aufgefallen, dass sich die Kühe beim Hütedienst abwechseln. Wenn also mal eine Mutterkuh etwas weiter weg grast, weiss sie genau, dass da eine andere ist, die aufpasst. Dabei passen nicht nur die Mütter auf die Kleinen auf, da gibt es auch «Tanten», die es sich nicht nehmen lassen, in der Kinderrunde ihr Alpleben zu geniessen.
65 Abkalbungen pro Alpsaison
Insgesamt kalben auf der Porteiner Alp pro Saison rund 65 Kühe ab. «Das ist natürlich sehr viel und nur möglich, weil die Alp so einfach erschlossen und sehr übersichtlich ist», erklärt Patrick, der bereits den siebten Sommer als Alpmeister amtet. «Das Gelände weist wenig Gräben und Unebenheiten auf, in denen sich der Wolf verstecken könnte. Zudem gibt es hier viele Wandernde.» Dies – so scheint es – behagt dem Wolf nicht besonders. «Wir haben sämtliche Wanderwege ausgezäunt», bringt mich Patrick zum Staunen. Davon profitieren gemäss dem 36Jährigen nicht nur die Wanderfreunde, sondern auch die Hirtin und die Bestösser. Auf diesen Wegen lassen sich die Kühe und Kälber prima von einer Weide zur nächsten treiben. Aber von allein kommen diese Zäune natürlich nicht zum Stehen. «Dieses Jahr war das Zäunen ganz besonders anstrengend. Der nasse, schwere Schnee des vergangenen Winters hat auch starke Pfähle einfach zu Boden gedrückt», erzählt Heidi. Bei dieser Arbeit wird sie ebenfalls von den Tierbesitzenden unterstützt. Müssen diese doch pro Kuh, die sie auf die Alp bringen, zwei Gemeinschaftswerkstunden leisten.
Einige davon wurden mit der Innenrenovierung der Hütte, die viele Stunden in Kauf genommen hat, bereits abgearbeitet. Die «neue» Hütte sieht sehr wohnlich und schön aus. «Vorher war es drinnen immer kalt und eine Dusche hatte es auch nicht», erinnert sich Heidi, die zwischenzeitlich ein bisschen Luxus zu schätzen weiss und sehr dankbar ist. Auf den bisher nassen Sommer angesprochen, erklären Patrick und Heidi, dass dies für die sonst doch sehr trockene Alp eigentlich ein Segen sei. Zumal es nicht dauerregne. Und die kleinen Kälber? «Denen macht das im Normalfall nichts aus. Im Gegenteil: Mir fällt auf, dass die Kälber, die auf der Alp zur Welt kommen, gesünder sind als jene, die unten auf dem Hof das Licht der Welt erblicken», erklärt Patrick. Mit Verlusten sei immer zu rechnen, aber das sei unten im Tal nicht anders. Von Dezember bis März arbeitet der Sarner – seinem Vater sei Dank – in der Lenzerheide als Skilehrer. Zudem ist er als Berater am Plantahof tätig und hilft hin und wieder in einer Schreinerei aus. Doch das Alpen ist Patricks grosse Leidenschaft. Mindestens dreimal pro Woche ist er oben, Abkalbungen hin oder her. Ich kann ihn verstehen. Während ich so mitten auf der Weide stehe, meinen Blick ins Domleschg, weiter Richtung Albulatal und schliesslich zum wunderschönen Piz Beverin schweifen lasse, würde ich am liebsten ein paar Tage hier oben auf der Alp bleiben und endlich wieder einmal eine KuhGeburt live miterleben. Heidi lacht und meint: «Es hat ein zweites Bett. Du bist herzlich willkommen.»
Neun Koppeln auf 200 Hektaren verteilt
Die Porteiner Alp zieht sich über 200 Hektaren und ist auf neun Koppeln verteilt. Der gemeinsam ausgewählte Stier läuft erst gegen Ende der Saison in der höchst gelegenen Weide mit. Hirtin Heidi hat stets ein wachsames Auge darauf, welche Kuh bald abkalben wird, damit die Trennung von der Herde möglichst bei einem Weidewechsel stattfinden kann. «Ansonsten bringt das jedes Mal Unruhe in die Herde», erklärt sie. Gleich unterhalb der neu umgebauten Alphütte steht der sogenannte Krankenstall mit einem Klauenstand. Geht es einer Kuh bzw. ihrem Kalb nicht gut, wird sie bzw. es dort gesund gepflegt und kann ohne grossen Aufwand vom Tierarzt besucht werden. Heidi betont, wie wichtig ein gutes Alpteam ist. Die Tierbesitzenden sind mit einer Ausnahme zwischen 30 und 45 Jahre alt. Auch Patrick fühlt sich in dieser Konstellation sehr wohl. «Wir sind uns bewusst, dass die vielen Geburten für das Alppersonal nicht
ungefährlich sind, deshalb kommt auf Geheiss der Hirtin auch der jeweilige Bauer vorbei. Er kennt die Kuh», betont er. Vom Alpaufzug am 14. Juni bis zu meinem Besuch zwölf Tage später, haben schon 9 Kälbchen das Licht der Welt erblickt. Rund eine Woche später sind es bereits 18. Der Kindergarten hat sich also verdoppelt.
«Der Wolf ist nun einmal da und wir müssen lernen mit ihm umzugehen.»
In der gemütlichen Hütte bei einer Tasse Kaffee kommen wir noch auf das Thema Wolf zu sprechen. Nicht ganz ohne Grund. Mutterkuh Schweiz fällt auf, dass es im Frühsommer oft einen Engpass bei den Natura-Beef gibt. Dies ist mit Sicherheit auch auf die fehlenden Abkalbungen auf den Alpen zurückzuführen und diese wiederum auf die Präsenz des Wolfs. Die Porteiner Alp hatte bis heute – obwohl sie zum Einzugsgebiet des Beverinrudels gehört – noch keinen einzigen Wolfsangriff. «Zwei Alpen weiter brachte vor wenigen Jahren eine Wölfin ihre Welpen zur Welt. Für die betroffene Alp war das überhaupt kein Problem, dafür aber für das Safiental, wo die Wölfin ihre Beute jagte», erzählt Patrick. Für den jungen Bauern stellt der Wolf eine Herausforderung, aber kein Hindernis dar. Er ist froh, dass seit dem 1. Dezember 2023 die präventive Regulierung von Wolfsrudeln erlaubt ist. Aber er ist sich bewusst, dass es auch in Zukunft eine Koexistenz von Nutztieren und dem Raubtier Wolf geben wird: «Der Wolf ist nun einmal da und wir müssen lernen mit ihm umzugehen.»
Sofern Diskussionen konstruktiv ablaufen würden, sei er gerne bereit, bei Lösungsfindungen mitzuarbeiten. So hat er zum Beispiel zusammen mit anderen Mitgliedern von Mutterkuh Schweiz das Projekt «Wegleitung für Abkalbungen auf Sömmerungsbetrieben» unterstützt. Das daraus hervorgegangene Dokument ist öffentlich und kann auf unserer Website unter Produzentenservice heruntergeladen werden. Dieses Papier beinhaltet auch eine Checkliste, die am gleichen Ort auf der Website zu finden ist. Wir haben in der Ausgabe 2/21 in die Mutterkuh darüber informiert. Diese Wegleitung ist ein integrierter Bestandteil zu den Weisungen für die Sömmerung der Kantone Glarus und Graubünden. Sie definiert unter anderem auch Kriterien, unter denen die Geburt eines Tieres der Rindergattung auf einem dafür geeigneten Sömmerungsbetrieb grundsätzlich möglich und verantwortbar ist. Auf Seite 7 ist die Porteiner Alp als graphische Darstellung für eine mögliche Infrastruktur abgebildet. Gemäss dem Amt für Jagd und Fischerei Graubünden gibt es im Kanton aktuell (Stand 22. Juli 2024) zwölf Wolfsrudel. Man geht davon aus, dass das Beverin-Rudel – vermutlich – aufgrund der regulativen Eingriffe zerfallen ist. Was das für die Porteiner Alp sowie die Alpen rundherum genau heisst, wird dieser Alpsommer zeigen. Patrick ist nicht blauäugig und weiss, dass der Wolf ein Thema bleiben wird. Die Abkalbungen aufgeben, möchte er deshalb aber nicht: «Wir haben gute Voraussetzungen und sind alle bereit, den nötigen Einsatz zu leisten.»