Alexandra und Raphi Müller, Steg, ZH
Wer es schafft, aus neun fünfzig zu machen!
Franziska Schawalder – Der wunderschön gelegene Biohof Orflen von Alexandra und Raphi Müller ist etwas oberhalb von Steg im hügeligen Tösstal angesiedelt. Auf ihren Weiden grasen 32 Dexter Mutterkühe und – seit der Übernahme des Nachbarbetriebs – zusätzlich 17 Hereford, Tuxer, Pinzgauer und eine Simmentaler. Zudem haben sie im April dieses Jahres unten im Dorf einen Hofladen eröffnet.
Kürzlich bin ich von Steg im zürcherischen Tösstal zu meinen Eltern nach Mosnang / SG ins Toggenburg gewandert. Direkt auf dem Schnebelhorn, der höchsten Erhebung des Kantons Zürich, liegt der Grenzstein. Dort wollte ich – so der Plan – eine Rast einlegen. Kurz vor Steg merkte ich allerdings, dass ich meinen Apfel zuhause hab liegen lassen. Alles halb so schlimm. Keine zehn Minuten später stand ich im nigelnagelneuen Hofladen Orflen von Alexandra und Raphi Müller und kaufte nebst einem feinen Apfel noch ein paar andere Dinge ein, die sich auch bei heissen Temperaturen gut über den Berg tragen lassen. Noch während ich die Auslage, die von den hauseigenen Fleischprodukten über regionale Milchprodukte, Gemüse, Früchte, Honig, Tee, Glace etc. reicht, studierte, hörte ich im Raum nebenan jemanden «nuschen». Zu meiner Freude war es Alexandra, die an diesem Sonntagmorgen im kürzlich eröffneten Hofladen zum Rechten sah. Zum Mitwandern hatte
sie leider keine Zeit, aber wir verabredeten uns für ein «Zu Besuch» auf dem Biohof Orflen sowie für die gemeinsame Besteigung des Schnebelhorns. Zu einem späteren Zeitpunkt versteht sich. Alexandra und Raphi Müller sind bei Mutterkuh Schweiz bekannte Gesichter. Packen sie doch auch gerne ausserhalb des eigenen Hofes mit an. Die beiden haben uns schon oft bei Veranstaltungen unterstützt. So zum Beispiel als Standbetreuende an der FOOD ZURICH im September 2022. An der beef.ch 2018 in Wil waren sie als Tieraussteller mit ihrer Dexter Mutterkuh Ceara und Kalb dabei. Zudem war Alexandra als OK Mitglied an der Swissopen 2019 und 2021 im Einsatz sowie im OK der beef.ch 2022 in Wülflingen und dieses Jahr im OK der beef.ch an der Luga in Luzern, wo auch Raphi an drei Tagen als Helfer vor Ort war. Plus hat Alexandra als Vorstandsmitglied von Swissdexters längere Zeit die Geschäftsstelle betreut und hin und wieder einen Text für die Mutterkuh verfasst.
Die perfekte Liebesgeschichte
Nach unserer Zusammenarbeit an der FOOD ZURICH war ich – aus welchen Gründen auch immer – der festen Überzeugung, dass sich die beiden bei Mutterkuh Schweiz kennengelernt haben. Die perfekte Liebesgeschichte für mein
«Zu Besuch». Dachte ich. Nun – die gute Nachricht ist: Es ist die perfekte Liebesgeschichte. Die «schlechte» Nachricht für meine geplante Geschichte lautet allerdings: Die beiden haben sich nicht bei Mutterkuh Schweiz kennengelernt, sondern 2001 am Ausbildungskurs für Swisscoy Kosovo in Bierre. Die Ausbildung bei Swisscoy dauerte ein halbes Jahr und dann ging es in den Einsatz in den Kosovo. Richtig gefunkt hat es allerdings erst später. «Erst dachte ich mir: So ein Schnurri!», erinnert sich Alexandra schmunzelnd. «Je besser ich ihn jedoch kennenlernte, desto mehr merkte ich, dass er nicht nur gut
schwatzen kann.» 2003 sind sie dann nochmals gemeinsam für ein halbes Jahr für einen Einsatz in den Kosovo gereist. Damals war die Landwirtschaft noch kein Thema. Zusammen haben sie in Wila in einem Haus gewohnt, das Alexandra zusammen mit ihrem Bruder gebaut hatte. Sie arbeiteten beide 100 Prozent und verbrachten viel Zeit mit ihren damaligen Pferden. Raphi hat sich als Strassen- und Tiefbaupolier auf Fluss- und Seebauten spezialisiert. Alexandra hat ursprünglich eine Lehre als Betriebsassistentin bei der Post absolviert und sich danach laufend weitergebildet. Als Betriebswirtschafterin hat sie ihr Können an verschiedenen Stellen eingebracht. Bevor die beiden 2011 den Biohof Orflen übernommen haben, hatte Alexandra die eine oder andere schlaflose Nacht. Während Raphi bereits auf der Orflen aufgewachsen ist und genau wusste, wie es war, so abgelegen zu wohnen, hatte sie Angst, dass ihr Sozialleben darunter leiden könnte. Entgegen ihren Erwartungen lebte sie sich gut ein und nach einem halben Jahr war klar: Hier bleiben wir. Von Raphis Eltern haben sie neun Dexterkühe übernommen. 1993 hörten die Eltern mit Melken auf und starteten mit ein paar Angus-Kühen in die Mutterkuhhaltung. Sobald die ersten Dexter importiert wurden, haben sie umgestellt.
Mit neun Kühen gestartet, heute haben sie 50
Zwischenzeitlich ist die Herde auf stolze 50 Kühe angewachsen. Nebst den 32 Dexter Kühen gehören seit der Übernahme des Nachbarbetriebs 2022 auch Hereford, Tuxer, Pinzgauer und eine Simmentaler Kuh dazu. Der direkt angrenzende Nachbar hat Alexandra und Raphi Land und Stallungen verkauft und ist seither übers Jahr verteilt zu 40 Prozent bei ihnen angestellt. Vor der Übernahme des Nachbarhofs hatten sie 25 Hektaren Landwirtschaftliche Nutzfläche (LN). Heute sind es rund 50 Hektaren LN und 40 Hektaren Wald. Im Sommer halten sie auf den verschiedenen Weiden insgesamt fünf Herden, im Winter sind es zwei. «Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es für die Wiesen besser ist, wenn weniger Tiere längere Zeit am gleichen Ort bleiben», erklärt Raphi. Drei Herden befinden sich in der Nähe des
Hofes und Wohnhauses, die beiden anderen Herden besuchen wir mit dem Auto nach dem Mittagessen. Raphi und Alexandra schauen regelmässig bei ihnen vorbei, reden mit ihnen und tauschen die eine oder andere Streicheleinheit aus.
Während sie zu Beginn grossen Respekt vor der Selbständigkeit hatten, fühlen sie sich zwischenzeitlich sehr wohl in ihrer Rolle. Für beide ist klar: «Die Tiere stehen immer an erster Stelle. Erst kommt der Stall, dann das Essen – morgens und abends.» Die Tiere danken es ihnen mit viel Zutraulichkeit. «Es ist schön zu sehen, wie sich die Herde weiterentwickelt hat», freut sich Alexandra beim gemeinsamen Besuch der Dexter-Herde, die in ein paar Tagen auf eine Alp am Splügenpass ziehen wird. Die beiden mischen sich unter ihre schönen Vierbeiner, streicheln sie und geniessen einige «ruhige» Minuten zu zweit mitten im Gebimmel. Meine Wenigkeit bleibt mit der Kamera lieber etwas auf Distanz. Werde ich doch ziemlich aufmerksam beäugt und aus eigener Erfahrung weiss ich, dass der Ausdruck «klein, aber oho» schon seine Berechtigung hat. Aber ja – dieses Bild werde ich so schnell nicht vergessen. Idylle pur an diesem wunderbaren Fleckchen Erde!
Mitinitianten des Labels Swissdexter Gourmet Beef
Idylle pur erleben wir auch beim gemeinsamen Mittagessen auf der Terrasse des Restaurants Sennhütte, nicht allzu weit vom Schnebelhorn. Die Fahrt dorthin ist einzigartig und wunderschön. Immer weiter schlängelt sich der Weg in diesen abgelegenen Seitenarm des Tösstals hinein. Auch Alexandra und Raphi geniessen diese kleine Auszeit und das feine Essen inmitten ihres sonst arbeitsreichen Alltags. Mir kommt es vor, als seien wir kurz gemeinsam in die Ferien gefahren. Apropos Ferien: Seit die beiden verheiratet sind, waren sie erst dreimal gemeinsam im Urlaub. 2006 in der Karibik, 2010 auf der Hochzeitsreise in Neuseeland und Australien und 2022 auf Kreta. Das soll sich laut Raphi jetzt ändern. Seit 2019 arbeitet er 100 Prozent auf dem Hof und schätzt es, auch mal kurz weg zu kommen. In der Zeit davor hat er 100 Prozent auswärts gearbeitet und Alexandra konnte ihr Jobpensum so aufteilen, dass sie in den Wintermonaten mehr gearbeitet hat als im Sommer. Seit rund vier Jahren sieht es nun anders aus: Raphi ist voll und ganz zuhause und Alexandra hat ihr auswärtiges Pensum aufgestockt. Das macht ihr hin und wieder zu schaffen. Ihr fehlen die Tiere und die Zeit für den Hofladen ist auch knapp. Die Arbeit geht den beiden nicht aus, aber was sie tun, macht ihnen Spass. Ihre Dexter-Kühe und die Kontakte mit den Mitgliedern des Vereins Swissdexter bedeuten ihnen viel. Als Mitinitianten haben sie sich stark für die Einführung des Labels Swissdexter Gourmet Beef eingesetzt. «Dafür musste erst ein entsprechendes Produktionsreglement ausgearbeitet werden», erinnert sich Alexandra an diese spannende Zeit. Mit
dem Tierpark Arth-Goldau haben sie 2021 einen guten Partner gefunden. So stammt das ganze Rindfleisch, das in der Gastronomie im Tierpark serviert wird, nur von Dexter-Rindern. Rund 50 bis 60 Tiere können jährlich geliefert werden, rund 10 stammen vom Biohof Orflen. Weitere 20 Dexter-Tiere vermarkten sie privat. Das Schlachten und Metzgen übernimmt ein biozertifizierter Metzger in Bäretswil. Dies garantiert einen kurzen Anfahrtsweg und Raphi kann immer dabei sein, wenn eines der Tiere sein Leben lassen muss. «Unser Ziel ist es allerdings, lieber früher als später auf die Hofschlachtung umzustellen», hält Raphi fest. Die restlichen Tiere, die sie 2022 von ihrem Nachbarn, der vorgängig auf Bio umgestellt hat, übernommen haben, liefern sie in den Kanal als Bio-Natura-Beef.
Am späteren Nachmittag fährt mich Alexandra nach Bauma zum Bahnhof. Vorbei an kleinen süssen Weilern, Bauernhöfen und einem Stück Land, das auch noch zu ihrem Hof gehört. Das Tösstal präsentiert sich von seiner schönsten Seite und ich freue mich, dass es mit «meiner» Liebesgeschichte so gut geklappt hat. Wie heisst es so schön: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.